Persönliche Empfehlung Album

Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Album ab und begründet diese schriftlich.

DEZ 2008  Stephan Rögner, Frankfurt am Main

Thomas Friz & Pankraz

Rolf Limbach hat sich zum 15. Jahrestag der Gründung seines Labels selbst dieses Geschenk gemacht: ein Album mit dem Sänger Thomas Friz und der Folkgruppe Pankraz. Mir gefiel, eben weil sie auffiel, die liebevoll gestaltete Titelseite – Chamoisbildchen der fünf Künstler mit Büttenrand! – und ebenso das gut lesbare Booklet mit allen Liedtexten. Dies war mein erster Eindruck. Und auf der Rückseite der Hülle die Titel. Nicht alle konnte ich gleich ihren Dichtern zuordnen. Also ungeduldig blättern und nachsehen. Freilich, hier steht es: Mascha Keléko, Theodor Kramer, Walter Mehring, Erich Kästner ...

Thomas Friz blieb hier künstlerisch auf dem Weg, den Peter Rohland vor gut 40 Jahren beschritten hat – den Weg einer intensiven Liedforschung zu demokratisch deutschen Traditionen und des Lernens der jiddischen Sprache. Thomas Friz hatte erst im Sommer 2008 bei einer Feierstunde anlässlich des 75. Geburtstages des prominenten Sohnes der Stadt Göppingen mit einem Konzert in memoriam gedacht. Auch hier bei der Auswahl der Lieder für die CD sah Limbach einen kraftvollen Neubeginn, bei dem man sich aber auch eben dieser Wurzeln besinnt, und bei den Arrangements das harmonische Zusammenspiel von Poesie und Musik. Die Kompositionen zu fast allen Liedern stammen von Thomas Friz.

Er selbst spielt Gitarre und singt natürlich, und das nicht nur mit Hingabe, sondern auch wieder in alter Frische, nachdem ihm seine Stimme Schwierigkeiten bereitet hatte. Thomas Fimpel, auch Komponist, singt ebenfalls und spielt Gitarre, bei zwei Liedern Mandoline. Henrike Jähme singt gleichfalls und quetscht ihr Akkordeon. Ekkehard Floß ist mit Geige und Mandoline zu hören, Karl-Heinz Saleh mit Gitarre und Mandoline, und Jörg Isermeyer zupft den Kontrabass. Diese vier Musiker sind ebenso wie Thomas Friz aus früheren Veröffentlichungen und Wertungen der Liederbestenliste wohlbekannt und insofern ihrer Qualität verpflichtet. Und mit der Begegnung Thomas Fimpels von der Gruppe Pankraz im Bergdorf Hohenstaufen mit Thomas Friz, der einstigen Hälfte des legendären Zupfgeigenhansel, wurde ein Programm geboren, das als Titel die Namen der Mitwirkenden hat. 

NOV 2008  Eva Kiltz, Berlin

Wortfront - Von vorn mit Anlauf

Ach, so unverkrampft können wohl nur Österreicher über Deutschland herziehen. „Von vorn mit Anlauf“ und demzufolge nicht gerade zimperlich bekritteln Texter, Komponist und Arrangeur Roger Stein und Sängerin Sandra Kreisler alias Wortfront Alltag, Gesellschaft und Kulturverständnis ihrer Zeit, was durchaus noch unter „typisch deutsch“ einzuordnen wäre.

Anders aber als so manche allzu bedeutungsschwere deutsche Liedermacherei erzeugen die pointierten Textwendungen, ausgefeilten Arrangements und präzisen, teils bitterbösen Beobachtungen von Wortfront beim Hörer mal ein stilles in sich Hineinschmunzeln, mal explodierende Lachsalven.

Von vorn mit Anlauf ist der Triumph der Möglichkeit der beiden Wortfront-Künstler mit allen Konventionen zu brechen. Eingängige Poparrangements verbinden sie mit bissigen, wohltuend unverfrorenen Texten, hinter wunderbaren Balladen versteckt sich tiefgehende Kritik an gesellschaftlichen Missständen. Kurz gesagt, auch Pop geht politisch.

Erfreulich auch, endlich einmal wieder der Leichtigkeit gut ausgebildeter Stimmen zuzuhören. Die chansoneske Unmittelbarkeit von Sandra Kreisler, die eine Gänsehaut der nächsten folgen lässt – wie bei „Berlin“ oder „Es regnet“ – wechselt sich mit den wütend-forschen Sprechgesängen des Roger Stein ab. Keine Zeit für Langeweile.

Was bereits 2006 auf dem Album Lieder eines postmodernen Arschlochs, dem Erstling des Duos, anklang, ist hier perfektioniert worden: nicht allein Text und Komposition vermitteln die Botschaft, nein, die Arrangements sprechen für sich selbst. Ein Wermutstropfen ist der teilweise dumpfe Klang der Produktion, durch den die eine oder andere Feinheit der Musik verschluckt wird.

Nur eine Frage bleibt: wer zum Teufel hört eigentlich die ganze „Volksmusik“ (Track 3)??? 

OKT 2008  Martin Steiner, Winterthur, Schweiz

Jan Böttcher - Vom anderen Ende des Flures

Gewisse CDs muss man mehrmals hören, um sie richtig zu verstehen. Andere lagern immer nur zuunterst im Stapel und finden gar nie den Weg in den CD-Spieler. Vom anderen Ende des Flures könnte so ein Album sein, das kaum gehört wieder in der Versenkung verschwindet. Dabei schreibt Jan Böttcher feine, ausgefallene, oft kryptische Texte, die immer neue Bilder, Ebenen und Deutungen erschließen. Manchmal wiegen die Worte schwer wie Blei, wie etwa in „Die frühen Verluste“ oder „Kommando Kassandra“, die Böttcher in federleicht schwingende Ohrwürmer verpackt. Ab und an hüpfen die Worte frei und fast fröhlich – und doch traut man der erbaulichen Stimmung kaum. Jan Böttcher braucht die Gesellschaft nicht zu kritisieren, er muss sie nur beschreiben. „Wellness“ etwa ist so ein Lied. Da fällt kein böses Wort, aber die Bilder dieser Plastikwelt, mit Palmen an der Autobahn, Musik von Bach im Entspannungsmodul Nr. 3 und der Begleiterin mit dem grünen Armreif, die nur biologisches Essen und kein Chlor mag, zeichnen eine Welt fern echter Gefühle und Natürlichkeit. Leicht macht es einem der Schriftsteller und Sänger der 2007 aufgelösten Berliner Band Herr Nilsson mit seinen Texten nicht. Trotzdem lässt er einen mit seinen Gedankenblitzen oft abheben.

Jan Böttchers klarer Tenor und die sparsame Begleitung (akustische Gitarren dominieren, hier und da wird eine Gitarre durch einen Verzerrer gejagt, ein Banjo, etwas Perkussion, einmal eine Trompete) sorgen für ein Gefühl der Schwerelosigkeit inmitten einer wohligen Schwermut. Vom anderen Ende des Flures ist kein einfach zu beschreibendes, dafür umso eigenwilligeres, feines Album geworden. Es wird wohl zu leise und unaufdringlich sein, um im Radio gespielt zu werden. Das ohne jede Plastikeinlage auskommende Digipack besticht mit rätselhaften Grafiken, die sich frei an die Liedtexte anlehnen. Aber auch diese holzschnittartigen Stempel erschließen sich erst dem zweiten Blick. 

SEPT 2008  Petra Schwarz - Berlin

Scarlett O’ - Fifty - Fifty

Die Sängerin der Folkgruppe Wacholder und der Gitarrist der Rockband Pankow: Scarlett O‘ und Jürgen Ehle, „Zwei echte Fuffziger!“, haben jetzt „das Programm zur Lebensmitte!“ auf CD veröffentlicht. I h r Programm zur Lebensmitte – beide sind gut 50 – ohne Halb-, dafür voller Wahrheiten!“. Soweit der Werbetext und das ist – man mag es kaum glauben – glaubhaft.

Die Texte (Scarlett O‘, Werner Karma, Gerd Püschel und Frank Viehweg) beklagen alles, was ohne Gefühl, Liebe und Lust ist („Proviant für meine Seele“, „Mach mein Herz aus“ oder „Im Mai“). Sie bewundern all jene, die Ungewöhnliches tun („Alte Liebe“ oder „Wahrheit“) oder gehen (nur manchmal etwas zu bedeutungsschwanger) Sehnsüchten nach („Der Schatten deines Flügels“ oder „Sex Sekunden“). Witzig-Hintergründiges ist zu finden („Gemein“) und ein sensibler „Nachruf“ auf einen verstorbenen Musiker-Kollegen („Das Orchester wird leiser“).

Die Musiken – aus der Feder von Jürgen Ehle – sind so facettenreich, wie eine Stunde Musik nur sein kann. Bossa und Walzer fehlen genauso wenig wie Irish Folk-Anklänge und Country. Zwei Internationals (eines mit deutscher Übersetzung) komplettieren die CD, auf der die feinfühligen Arrangements und der Sound (auch alles Ehle) bestechen.

Das Booklet, ebenso entworfen und gestaltet von den beiden Akteuren, ist – abgesehen vom Cover – ein kleiner Schatz. Darinnen – neben den Texten natürlich – feine Kohlezeichnungen von Scarlett O‘ und deftige Cartoons von OL, nach denen das sehr treffende „Berlin“-Lied entstand. Scarlett O‘ und Jürgen Ehle nehmen hier die offizielle Hauptstadt-Werbekampagne „be Berlin“ auf und zeichnen liebevoll-berlinisch ihr Berlin-Bild.

Die CD erscheint am 1. September – ist also nagelneu. Nehmen Sie sich doch 60 Minuten Zeit und Sie werden mit 17 sehr hörenswerten Songs belohnt

AUG 2008  Michael Laages, Berlin

Gerhard Gundermann - Auswahl 1

Ja, zehn Jahre ist das schon her. Oder nur zehn? Derart an Tempo und Dynamik zugelegt haben Vereinheitlichung und Angleichung im neuen Deutschland der Kanzlerin aus der Uckermark, das diese neuerliche Erinnerung den Sänger und Poeten Gerhard Gundermann wirklich schon wie aus sehr sehr ferner Zeit zu uns ins Jetzt herüber klingt. Zum 10. Todestag dieses Sonderfalls der deutschsprachigen Rock- und Song-Geschichte hat das in Sachen Gundermann so rührige Ostberliner Buschfunk-Label eine Doppel-CD vorgelegt, die sich selbstbewusst Auswahl 1 nennt; und eben nicht „Best of“, oder wie dergleichen meistens heißt.

Es könnten noch beliebig viele „Auswahl“-Folgen folgen – alles von Gundermann, so wird suggeriert, sei potenziell auswahlfähig. Und fast ist das ja auch so. Insofern gibt"s von Gundermann nichts Neues. Nur vieles zu erinnern – und noch mehr noch einmal oder gar neu zu hören. Anno 2000 etwa wurde Richard Engels Gundermann-Film Ende der Eisenzeit in der Berliner Volksbühne uraufgeführt: als Beschwörung eines toten Helden; ein Stück Film findet sich auf der CD. Genau diese Helden tauchen immer wieder auch in Gundermanns Lieder-Poesie auf; und da gleichen einander plötzlich Che Guevera (den ein Foto im Booklet als Wandschmuck in Gundermanns Zimmer zeigt) und all die „Bravehearts“ und „Ivanhoe“-Ritter aus den Groschenheften unserer Kinderzeit. Aus heutiger Perspektive, der Sicht der Nachgeborenen auch der deutschen Zweisamkeit also, mischt sich all das zum uralten Traum vom glücklichen Herrscher über ein glückliches Volk. Sonderlich demokratisch ist dieser Traum sicher nicht; Demokratie ist Mittelmass, Durchschnitt, Kompromiss aus Prinzip. Helden kennen all das nicht. Und bleiben darum so rein, durch wieviel Dreck und Elend sie auch waten.

Gundermann hat Ikonen dieser Art beschworen – in einer Sprache, wie sie zu seiner Zeit niemand anders besaß. Und nach ihm kamen erst nichts und niemand, der ansatzweise vergleichbar wäre. Und so staunen wir denn einmal mehr – weil wir ratlos und hingerissen dasitzen und hören (und diesmal auch sehen, weil die zweite CD Konzert-, Video- und Film-Ausschnitte versammelt), was dieser herrliche Märchenonkel zu erzählen hatte. Das mag vorbei sein. Und wenn schon – seine Träume leben und werden gebraucht. Seine Alpträume auch. 

JULI 2008  Hans Reul, Eupen/Belgien

Hans Reul, Eupen/Belgien

Warum erwartet man immer noch mit Vorfreude und Spannung eine neue CD von Franz Josef Degenhardt? Hat er uns überhaupt noch etwas zu sagen? Ist die musikalische Umsetzung nicht hinlänglich bekannt? Gitarre, ein paar Mundharmonikasoli und dazu die seit Jahrzehnten immer gleich schnarrende Stimme.

Na und! Wen stört"s? Mich nicht! Denn Degenhardt gelingt immer noch diese einzigartige Verbindung von politisch ambitioniertem Lied und privat-persönlich wirkender Geschichte, die zwangsläufig auch politisch ist.

Nach nicht einmal zwei Jahren folgt seinem letztem Album Dämmerung zum 75. Geburtstag eine neue CD: Dreizehnbogen. Fast 17 Minuten ist er auf dieser dreizehnbogigen Brücke im Titellied unterwegs und schafft in der ihm eigenen Art eine eindringliche Situationsbeschreibung der Gesellschaft ausgehend von historischen Anmerkungen und privaten Erlebnissen. Dies außergewöhnlich locker untermalt von elektronisch unterfütterter Musik, die sogar zwischen den gesprochenen Texten Raum gibt für einen Schwappdidadidupp-Refrain.

Wie ein Abgesang auf vergangene Zeiten wirkt in dem Lied „Den Fluss hinunter“ die Geschichte der Letzten vom Gonsbachtal , die in dem Temperabild seiner Schwägerin Gertrud „Le bon vieux temps“ ihren Spiegel findet. Hier – und noch intensiver in „Die Ernte droht“, einer herrlichen Abrechnung mit der leeren Schnelllebigkeit der Model- und Spekulantenwelt – spürt man die Verehrung Degenhardts für den unvergessenen Georges Brassens, seinem französischen Bruder im Geiste.

Auf Dreizehnbogen singt und spricht Degenhardt meist eigene Texte, aber er greift auch auf Kurt Tucholsky, Louis Fürnberg und Theodor Fontane zurück. Dessen „Trauerspiel von Afghanistan“ aus dem Jahre 1878 zeigt uns, dass was wahr und gut ist, zeitlos bleibt. Eben wie Degenhardt selber. 

JUNI 2008  Mike Kamp, Bad Honnef

Bartsch & Band - Wer weiß schon wie

Bei einer umfangreichen Jury dauert es seine Zeit, bis man eine CD-Empfehlung abgeben kann und auch der Zeitpunkt ist ungewiss. Eine milde Art von Glücksspiel: Wenn die Reihe an mir ist, hab ich dann überhaupt eine Empfehlung? Oder gar zwei?

Letzteres war der Fall. Oh süße Pein! Bis sich herausstellte, dass im Mai Kollege Eichler schneller war. Der Weg ist frei für Paul Bartsch. Oder doch nicht? Da schreibt und singt der Hallenser doch glatt Zeilen wie „Der Reiz ist verflogen. Nun müssen wir glatt uns wieder verbarrikadiern.“ Ja, Paul Bartsch arbeitet sich immer noch an dem ab, was als Wiedervereinigung in die Geschichtsbücher eingegangen ist, obwohl wir doch alle wissen, dass es eine Übernahme war. Über das, was in den letzten zwei Jahrzehnten im Osten passiert ist, können wir uns im Westen keine Vorstellung machen. Da stecken wir einfach nicht drin. Im Gegensatz zu den östlichen Jungs und Mädels, die da tiefer drinstecken als es ihnen vielleicht lieb ist. Paul Bartsch singt darüber dezent verklausuliert, er packt nicht den rhetorischen Hammer aus. Das ist nicht seine Art.

Und natürlich hat er nicht nur dieses Thema drauf, er singt über z. B. Afghanistan, Atomkraft, Götter im weißen Kittel, über die Unzufriedenheit mit dem Spatz in der Hand und über den privaten Winter am Kamin. Und er kann ganz einfache politische Wahrheiten aussprechen: „Es liegt doch an uns, wie es ist.“ Bartsch hat das Kämpfen noch nicht ganz aufgegeben, ohne das große Rezept, ohne das große Ziel, mit dem wohl altersbedingten Schuss Melancholie. Einfach singen für eine bessere Welt, ob in Halle an der Saale oder in Halle in Westfalen.

Wenn Bartsch & Band, also zu fünft, loslegen mit „Wer weiß schon wie“, dann ist das solider Folkrock mit Betonung auf letzterem, aber ohne jede Aggression. Das konnte er schon immer gut, Melodien von einem gewissen Wiedererkennungswert schreiben, die Botschaften und Meinungen allgemeinverständlich rüberbringen. Und das ohne ein richtig schwaches Stück auf der CD. Das schaffen selbst Kollegen wie BAP oder Springsteen nicht häufig.

MAI 2008  Peter Eichler, Leipzig

Bettina Schelker - The Honeymoon Is Over

The Honeymoon Is Over – die Flitterwochen sind vorbei für Bettina Schelker. Die schweizerische Sängerin hat geheiratet – ihre Freundin. Und dass dies auch bei aller durch die Gesetze der Eidgenossen verbrieften Normalität nicht das Alltägliche ist, darum geht es in dem Titelsong.

Aber nicht nur in diesem, wenngleich sie dort am schärfsten gegen die Kritiker der homosexuellen Liebe zu Felde zieht. Da gibt es aber auch wunderbare Liebeslieder wie „Polarstern“ oder „Eissturm“, die vom sich-hingezogen-Fühlen erzählen und gleichzeitig von der Unsicherheit einer Beziehung. Wie weit kann man beim ersten Mal gehen, zerstört die schnelle Nähe mehr, als dass sie bindet. Das Fragile der Liebe wird immer wieder deutlich und auch, dass Liebe nicht unendlich sein muss.

The Honeymoon Is Over ist ein Album, das auf sehr poetische Art die verschiedenen Aggregatzustände der Liebe beschreibt, das den Bogen spannt von den ersten zarten Anfängen bis zur möglichen Niederlage. Acht Songs der CD sind in englischer Sprache, sechs in Deutsch – das ist eine Mischung, die dem Album auch jenseits des deutschsprachigen Raumes einen Markt verschaffen kann.

Musikalisch hat sich Bettina Schelker für Country-Folk-Pop entschieden – aber diese Charakterisierung wäre für das gesamte Album zu eng. Es wird durchaus auch kammermusikalisch, wenn zart im Hintergrund das Cello streicht oder gewollt kitschig wenn ein Chor im Hintergrund ein „Aaahaah“ stöhnt. Selbst Mittelaltersounds haben es auf die CD geschafft. Bettina Schelkers neues Album bietet stilvolle Abwechslung mit Musik, die die Poesie der Texte mit zarter Linie unterstreicht.

APR 2008  Manfred Horak, Wien

Georg Breinschmid - Wien bleibt Krk

Walzer-, Polka- und Gypsy-beeinflusste Stücke aus dem gesamten Donauraum präsentiert der Kontrabassist und Sänger Georg Breinschmid auf seinem Album Wien bleibt Krk. Breinschmid war ursprünglich klassischer Kontrabassist (u. a. bei den Wiener Philharmonikern), bevor er sich dem Jazz zuwandte und ständiger Kontrabassist des Vienna Art Orchestra wurde. Vor wenigen Jahren machte er erneut eine Kehrtwendung. Seither ist er als Komponist und Sänger unterwegs. Dabei untersucht er im Geiste von Hermann Leopoldi, Gerhard Bronner bis hin zu Roland Neuwirth das Wienerische im Lied, gemeinsam mit einer illustren Schar an Musikerkollegen. Z. B. mit Tini Kainrath und Willi Resetarits im Lied „For the lost daughters“, bei dem es – basierend auf Mirjam Ungers gleichnamigen Film – um das Thema Emigration und Entwurzelung geht. Das Lied ist das Herzstück des Albums:

Mit oller Gwoit hobts ihr mi aussegrissn
Aus mein scheenen oidn Blumentopf“,

heißt es da, und:
Dabei waar ich so gern noch bliebm
Warum hobts ihr mi ausseghaut
I hob ned gwusst wie mir geschieht“

Und wo Wien da Balkan, und somit begibt sich Breinschmid musikalisch natürlich in breitere Gefilde, rüttelt am Wienerlied und erweitert es. Ohne tagesaktuell Politisches abzuliefern ist Wien bleibt Krk eindeutig ein politisches Statement, denn Wien war ja immer schon ein Schmelztiegel. Breinschmid verbeugt sich aber auch in humorvoller Weise vor Falco im mehrsprachigen – englisch, deutsch, Dialekt – Lied „I pee a hedgehog with long-lasting waves“, auf gut wienerisch „I schiff an Igl mit Dauerwellen“, mit dem Schmäh-Satz „Falco lebt, aber wir leben richtig“, und er amüsiert sich über seine eigene Fußballer-Vergangenheit im wunderbaren „Fußball-Aversions-Wienerlied“, in dem er das Bekenntnis ablegt: „Es woa oft sehr traurig, und es woa sehr schlimm/Beim Fußball ein sehr großer Trottel ich bin.“

Der Großteil der Lieder entstand übrigens im Verbund mit dem Virtuosen Beni Schmid an der Stradivari-Violine aus dem Jahr 1731 und dem Norweger Stian Carstensen – bekannt wurde er mit der Band Farmers Market – am meisterlich gespielten Akkordeon unbekannten Datums. Ein Trio, an dem niemand vorbei kommt mit einem singenden Bassisten, dessen Profil in seinem dritten Karriere-Abschnitt mehr und mehr das Profil eines Liedermachers annimmt.

MÄRZ 2008  Ingo Nordhofen, Witten

Irgendwo dahinten - Bernie Conrads

In schlichter Schatulle, so bieten gute Juweliere ihre Kostbarkeiten an. Bernie Conrads, einer der großen Musikjuweliere in Deutschland, präsentiert im optisch unaufdringlichen, aber gelungenen Digipack elf neue Songjuwelen. Und da Perlen und Edelsteine erst in der richtigen Fassung ihren vollen Glanz entfalten, hat er sich der Unterstützung einiger alter Freunde versichert, die ebenfalls hochkarätige musikalische Goldschmiede sind. Allen voran Stefan Stoppok, der nicht nur als Produzent und Arrangeur, sondern auch auf allen möglichen Saiteninstrumenten für guten Ton sorgt. Danny Dziuk steuert sein gekonntes Keyboardspiel bei und betätigt sich ebenfalls als Arrangeur. Bernhard Schumacher, Conrads alter Weggefährte aus den Zeiten von Bernies Autobahn Band, bedient meisterlich die Blasinstrumente. Wolf Wolff fungiert lässig taktvoll als Perkussionist, und nicht unerwähnt bleiben sollen Roger Schaffrath, der bei einem Stück wunderschön dezent die Slide Guitar spielt sowie Michael Spindler, der ein anderes mit satten Bassläufen begleitet.

Die Kunst des Liedermachers besteht darin, Geschichten zu erzählen, die anrühren. Dafür reicht es nicht, diese Geschichten nur in Reime zu bringen. Jede Geschichte lebt von ihrer Sprache. Sie braucht das Talent des Autors, das Geschehen kurz und prägnant auf den Punkt zu bringen, durch stimmige Bilder und Vergleiche die passende Atmosphäre zu erzeugen und sie interessant und spannend darzubieten. Und einer der ganz wenigen, die hierzulande diese Kunst beherrschen, ist Bernie Conrads. Mit seiner unnachahmlichen Stimme singt er, als würde er in der Kneipe beim dritten Bier den alten Musikerfreunden Stories seines bewegten Lebens erzählen. Noch fähig, klar zu denken, aber schon bereit, sich mehr zu öffnen als gewöhnlich, spricht er über seine Gefühle bei der Trennung, damals in der Provençe. Dann lässt er sie an seiner Freude über das schöne Wetter oder seiner heimlichen Liebe zur netten Wurstverkäuferin Teil nehmen oder äußert seine Abscheu vor falschem Stolz. Keine großen Themen, keine großen Worte, Alltag eben, in alltäglicher Sprache, und gerade das macht die Songs so greifbar.

Das sind die Gefühle, die wir alle kennen, aber nie so ausdrücken könnten. Man spürt, dass er nicht über sie singt, sondern dass sie gerade wieder ganz präsent sind. Und die Freunde kennen diese Gefühle ebenfalls, können sie in Musik umsetzen, lassen die Flöte verloren weinen, die Tuba freudig hüpfen, die Mandoline aufgeregt zirpen oder das Keyboard sehnsüchtig seufzen. Das ergibt wundervolle Arrangements, die sehr entspannt klingen und ohne falsches Brimborium auskommen. Ein solch gelungenes, rundes, in sich stimmiges Album habe ich lange nicht mehr gehört und wünsche ihm viele, viele aufmerksame Zuhörer. 

JAN 2008  Michael Kleff, Bonn

Jörg Kokott - Der Ring

Text wird hier veröffentlicht, sobald er vorliegt. 

FEB 2008  Rainer Hannes, Baden-Baden

Jörg-Martin Willnauer - Carmina Banana

Auf diesen Titel muss man erst mal kommen und dann halten, dass wirklich drin ist, was draufsteht. Jörg-Martin Willnauer tut das. Bei einigen Titeln seines Albums handelt es sich genauer um gekrümmte Lieder, denn sie haben gerade Vorbilder: der „Finnische Wein“ zum Beispiel den griechischen, mit dem Udo Jürgens Stimmung machte. Willnauers Version ist ein süffiges, wenn man öfter hinhört, bitterbitter luzides Stück über den Klimawandel und wie wir damit umgehen.

„Finnischer Wein ist der letzte Schrei der Erde.
Komm schenk Dir ein! Wenn ich nicht mal traurig werde
liegt es daran
dass man auch die größte Merde positiv seh‘n kann.“

Ich zitiere das an einem fast lauwarmen Endjanuar-Tag (12° Celsius) in der südlichen Rheinebene. Hier werden bereits wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag gegeben, ob die heimischen Winzer in Zukunft nicht auf Weinsorten umsteigen sollten, die im Mittelmeerraum gut gedeihen. Tja, wie viel Spott und Satire braucht die Erd- und Deutschlanderwärmung? Und wann wird es ihn geben, den finnischen Wein?

Aber ein Lied allein macht noch kein gutes Album. Willnauer zeigt sich auch in anderen Stücken als Meister der Parodie („Die Mama wird‘s scho ess‘n“ nach „Der Papa wird‘s scho richten“ oder „Ausgerechnet Banales“/“Ausgerechnet Bananen“). Parodien scheinen einfach: Man muss ja nur ein bisschen umdichten und schon wird‘s lustig. Von wegen. So funktioniert es gerade nicht. Willnauer hat nie nur eine einzige Idee für seine umgeschriebenen Lieder, sondern ein Ideen-Paket pro Lied. Immer wieder überraschen seine Texte, kriegen verblüffende Wendungen ins Hintersinnige oder ins höhere Unsinnige. Es sind gescheit geklaute Lieder.

Was auch für die nicht geklauten gilt. Sein „Fundi-Song“ ersetzt bestens jeden Tageskommentar zu den Flüchtlingen, die von Afrika übers Mittelmeer nach Europa kommen (oder nicht kommen, weil sie ertrinken). Den „Bonustrack für Pfälzische“ gegen das Forever-Young-Gebrabbel möchte man sich auch noch zum 100. Geburtstag anhören. Und Balladen wie „Sindolzheim“, ein badisches Dorf, in dem Willnauer aufwuchs, weisen als etwas melancholische Jugenderinnerung auch noch ins Krumme. Kurz: „Carmina Banana“ empfiehlt sich als exquisites Album aus der Sparte Kabarettchanson.

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