Persönliche Empfehlung Lied

Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Lied ab und begründet diese schriftlich.

DEZ 2003  Nikolaus Gatter, Köln

Gerhard Schöne - Der Hammer

Kritik ist Liebe. Dieser Liedermacher ist eine alte Liebe des Kritikers, der seine Empfehlung aussprechen darf. Gesehen habe ich ihn erstmals Anfang der 80er, als Wieland Ulrichs jährlich umsonst & draußen zum ökumenischen "Göttinger Musikfest" einlud. Ökumenisch nenne ich es, weil"s bunt gemischt zuging wie auf dem Kirchentag: Folktanzgedudel neben Chören, gestrichene Klassik neben hessisch gebabbeltem Blues - und eben Liedermacher, wie Gerhard Schöne einer war, noch dazu das damals vielbestaunte Wundertier aus der DDR. Die hat ihm ja dann wenige Tage vor Feierabend noch den Nationalpreis verordnet. Schöne blieb sich trotzdem treu, auch seinem Glauben, der seit jeher, freundlich und ganz unaufdringlich als nie versiegender Energiestrom seine Lieder durchpulst. Solches Christentum hat selbst für einen Glövenix wie mich nichts Missionarisches. Was sich mir davon mitteilt, ist die pure Freude, mit der Schöpfung einverstanden zu sein und dieses Einverständnis singend auszusprechen.

So auch in "Der Hammer", einer Bearbeitung von "La Maza" des kubanischen Singer/Songwriters Silvio Rodriguez. Schöne und sein Arrangeur Jörg Nassler lassen dem Lied eine grandiose Inszenierung nach Art von Joe Jacksons "Slow Song" angedeihen. Der serielle Zeilenbeginn "si no creyera" ließ sich in der Nachdichtung nicht durchhalten; der "Becher ohne Wasser" wird (nur einmal, dem Titel zuliebe) zum "unbrauchbaren Hammer". Merkwürdig genug beginnt es mit einem Percussion-Solo von Rolo Rodriguez, dann erst folgt intimes gitarristisches Vorspiel und ein pathetisch gehauchtes Bekenntnis, eine sich steigernde Selbstbefragung im Konjunktiv - "Was wäre ich, wenn ich nicht glaubte?" - , die in Metaphern beantwortet wird: "ein kleiner Musendealer, ein längst erloschner Ofen eines alten Hauses, ein durchgedrehter, kaputter Plattenspieler..."

Die unmerklich wachsende Spannungskurve mündet in pathetischem Klangwirbel, bis ein Chor fremder Stimmen einsetzt und das Lied sanft in seine Originalsprache zurücklenkt. Wäre ein perfekter Abschluss für die Platte gewesen - wenn, ja, wenn sich nicht wieder einmal die Rabattmärkchenideologie durchgesetzt und mit einem nachgeschobenen Rausschmeißer die ganze Stimmung verdorben hätte. Auf sog. "Bonus Tracks", die doch nichts als ein Euphemismus für ansonsten unverwertbare Schnipsel schlecht ausgesteuerter Live-Mitschnitte sind, verzichte ich dankend und gern. Und hier kommt die Platzierung von "Der Hammer" als vorletzte Nummer der CD geradezu einer Aufforderung zum Schwarzbrennen und Selberabmischen gleich...

NOV 2003  Holger Beythien, Berlin

Rainer Bielfeldt - Memento

"Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang, nur vor dem Tode derer die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind... ." Dieses Gedicht Mascha Kalekos begleitet mich seit meiner Jugend und hat mich schon als 20jähriger tief beeindruckt. Zu einer Zeit also, in der man eher über das Leben nachdenkt als über den Tod und sich der Endlichkeit seines Tuns gar nicht bewusst ist. Mascha Kalekos Zeilen bergen die ohnmächtige (soll ich sagen: egoistische?) Angst vor dem Alleinsein, vor dem unwiederbringlichen Verlust von Weggefährten, ohne die man sich sein eigenes Leben nicht vorstellen kann. Auch Rainer Bielfeldt stellt sich diesem Phänomen und setzt seine Vertonung des Kaleko-Gedichtes ganz bewusst an den Schluss seiner CD "Alles nur ein Traum". Eigentlich könnte das Lied auch ein Bonustrack sein, denn so richtig passt es nicht zu den übrigen Songs seiner (übrigens sehr hörenswerten!) CD - was die anderen Lieder jedoch nicht ab-, sondern "Memento" nur aufwerten soll.

Ganz im Chansonduktus hat Bielfeldt die Worte umgesetzt. Worte, die er für so gewichtig und nachdenkenswert hält, dass er nach jeder Zeile den Melodiefluss unterbricht. Sein Gesang ist beklemmend ernst, aber nicht wehleidig oder Mitleid erweckend. Den "fremden" Text macht er dabei zu seiner ureigensten Angelegenheit. Eine gelungene emotionale Gratwanderung. Die reduzierte Struktur der Klavierbegleitung unterstützt dabei das zerbrechliche Innere des Klagenden (kon)genial.

Bielfeldt ist ein musikalischer Handwerker der Extraklasse und er trägt sein Bekenntnis zur Legimitation großer Gefühle im deutschsprachigen Lied schnörkellos und selbstbewusst vor. Kompliment, wir brauchen solche Lieder.

OKT 2003  Petra Schwarz , Berlin

Boris Steinberg - Und keiner sagt, ich liebe dich

Der Song, den ich empfehle, hat fast 25 Jahre "auf dem Buckel". 1979 wurde er geschrieben; der Text ist von Fritz-Jochen Kopka, dem damaligen Mann einer Liedermacherin, die damit weit zuvor gelebtes Leben "offenbart". "Es war einmal ein Mädchen, das wohnte in einer Souterrainwohnung im Hinterhof inmitten einer Großstadt eines kleinen Landes." schreibt die Sängerin und Komponistin besagten Songs Barbara Thalheim dazu und meint damit: Berlin, Hauptstadt der DDR. Ein Vierteljahrhundert später - im Jahr 2003 - ist Berlin längst die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland; und wiederum ein Berliner, der im W e s t-Stadtbezirk Wedding geborene Boris Steinberg, hat den Song nun gecovert. "Und keiner sagt, ich liebe dich" heißt dieser und Steinberg sagt: "Alles, was ich singe, hat mich berührt". Das ist anders auch gar nicht denkbar, denn: die außerordentlich persönliche Geschichte einer jungen Frau herzunehmen und neu zu interpretieren, das verlangt danach, zumal Barbara Thalheim den Titel Anfang der 90er Jahre - zusammen mit der Rockband Pankow - selbst schon einmal gecovert hatte.

Boris Steinberg ist Schauspieler und gibt seit einigen Jahren den Ton mit an in der sogenannten "Neuen Berliner Chansonszene". Er habe immer schon gesungen, sagt er. Als Kind: Schlager; später als Schauspielschüler - was sonst - Brecht und Weill und: Theater-Engagements führten ihn immer wieder in kabarettistische Programme. Heute schreibt er seine Songs selbst, singt aber auch seine Lieblingslieder von anderen. Ulla Meinecke und Klaus Hoffmann zählen dazu und eben: Barbara Thalheim. "Und keiner sagt, ich liebe dich" beklagt den Verlust von nahem Mit- und Beieinander... Dagegen steht Wohlstand. Der ist "... h o h l ohne nahe Wesen." "Wer weiß noch, was er wirklich mag?" Eine Frage - wie gesagt aus dem Ende der 70er - die mir heute aktueller denn je scheint. Boris Steinbergs musikalischer Begleiter Leeman hat den Thalheim-Song fürs neue Jahrtausend arrangiert. Wie das klingt, hören Sie am besten selbst: ich empfehle von der CD "Die Stille der Gewohnheit" den Song: "Und keiner sagt, ich liebe dich" mit Boris Steinberg. 

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